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Lisaholic

Lisaholic

Rückwirkend würde ich sagen, war ich schon immer Musikerin.“

In einem Video-Call mit Lisaholic erzählt sie mir von dem Moment, der für sie der Auslöser war, eine musikalische Karriere zu verfolgen. Wir sprechen außerdem über Mut zur Selbstbestimmung, den eigenen Realness-Anspruch und ihre Zukunftsaussichten.

Als ich sie via Zoom anrufe, sucht sie grade nach der Lösung eines Problems mit ihrer MPC Live. Lisa hat sich nämlich, während die Pandemie alles lahmgelegt hat, digitales Produzieren beigebracht. In ihrer Karriere als Musikerin setzt sie von Anfang an auf DIY. Mit der eigenen Stimme, die sie zum Singen, Rappen und Beatboxen einsetzt, aber vor allem mit dem Etablieren der Loopstation bei Live-Auftritten, schafft sie sich ein Alleinstellungsmerkmal und dadurch Aufmerksamkeit. Ihre aktuelle, sieben Track starke EP „Asche“, ist mit Co-Produzent Harrison Fiat entstanden und ihr bislang professionellstes Release. Der Sound deckt eine Bandbreite von Techno über Drum’n’Bass, Dubstep und HipHop bis hin zu Trap ab. Wir reden über ihren Weg dorthin.

Lisa Hollik ist in der Nähe von München in eine recht musikalische Familie geboren. Während ihre Mutter selbst Gitarre spielt, beschreibt sie ihren Vater und ihren Bruder als „Musik-Nerds“. Gefördert von ihrer Mutter beginnt Lisa mit elf Jahren ebenfalls Gitarre zu spielen und schreibt im Teenager-Alter ihre ersten eigenen Songs, die sie auch live in der Schule performt. Ihre damaligen Texte sind, wie sie selbst sagt, sehr melancholisch und aggro.

Ich war einfach eine recht unglückliche Jugendliche und hab das alles darin verwurschtelt. Es war alles sehr dramatisch.“

Mit 17 steht sie das erste Mal auf einer internationalen Bühne. Während eines Highschool-Jahres in Sydney wird sie von ihrer Gastmutter zu einem Talentwettbewerb angemeldet. Umgeben von Kindern, die eher in klassischer Musik ausgebildet sind, stellt sie sich also mit ihrer Gitarre und einem selbstgeschriebenen Song auf die Bühne und bekommt dafür Silber. Nach der Schule macht Lisa eine Ausbildung zur Dolmetscherin, holt in gerade mal einem halben Jahr das Studium nach und schreibt ihre Bachelor-Arbeit. Mit dieser Bachelor-Arbeit beginnt der Weg von Lisaholic. Wegen einer 18 Stunden verspäteten Abgabe wird die Bachelor-Arbeit nicht gewertet und muss nochmal geschrieben werden. Wütend über die hierarchischen und vor allem patriarchalen Strukturen an deutschen Hochschulen merkt sie, dass sie kein Teil dieses Systems sein will. Lisaholic möchte sich die Auszeichnung zwar nicht nehmen lassen und schreibt erneut eine Arbeit, fasst allerdings den Entschluss, sich jetzt ausschließlich auf die Musik zu fokussieren. Als ich sie frage, wie ihre Eltern auf diese Entscheidungen reagieren, erzählt sie mir eine kleine Anekdote. Als sie noch zur Dolmetscherschule geht, ruft sie ihren Vater an und sagt ihm, sie würde die Schule abbrechen und nach Argentinien auswandern. Ihr Vater antwortet mit einem „Okay“. Das Ganze war ein Aprilscherz und Lisa ist verdutzt darüber, wie locker ihr Vater reagiert. Viele Eltern sagen zu ihren Kindern, sie sollen das machen, was sie glücklich macht, doch Lisas Eltern meinen das offensichtlich ernst.

Nach ihrem Bachelor verschlägt es sie schließlich ins kanadische Montreal, wo sie zum ersten Mal Gesangsunterricht nimmt. Zurück in München lernt sie einen Drummer kennen und bahnt sich ihren Weg in die Münchener Musik-Szene. Ihre ersten Berührungspunkte mit Deutschrap hat sie bereits als Jugendliche. So hört sie damals Freundeskreis und Blumentopf, dann längere Zeit gar keinen Deutschrap, um dann mit Ende 20 mit Fatoni und Edgar Wasser wieder einzusteigen. Vor allem von Letzterem schaute sie sich ab, „wie Rap funktioniert“. In der Münchener Rap-Szene wird sie von den meisten gut aufgenommen. Dennoch besteht schon lange der Wunsch, die Heimat zu verlassen. Seit drei Jahren wohnt Lisa jetzt in Berlin und hat ausgerechnet in der Corona-Zeit nach etlichen Umzügen endlich ihr neues Zuhause und ein Umfeld gefunden, in dem sie sich wohlfühlt. Sie hat „Leute zum freestylen, zum Mucke machen, zum Videofilmen, Leute, die meine Passion teilen“, und spürt zum ersten Mal keine Rastlosigkeit mehr.

Ich bin auf der Bühne genau wie ich Backstage bin, alles andere fänd ich irritierend.“

Bisher veröffentlicht Lisaholic ihre Projekte im zwei-Jahres-Takt: 2015: „Reiki fürs Volk“, 2017: Recycle dich selbst“ , 2019: „Fuk perfecion“ und heute, am 15.07.2021 „Asche“. Vor allem in der aktuellen Zeit des Release-Friday-Zirkus scheint das sehr antizyklisch. Diese Pausen sind nur bedingt freiwillig gesetzt. Sie sagt, sie brauche schon die Zeit zwischen den Releases, habe aber auch einfach bisher nicht die Möglichkeit gehabt, quantitativer zu releasen.  Das soll sich jetzt mit ihren selbst beigebrachten Producer-Skills ändern. Lisaholic setzt ihre ganze Karriere schon auf DIY und macht sich auf den kleinen und großen Bühnen diverser Festivals mit Beatboxen und Live-Loops einen Namen.

In der Debatte um den Realness-Anspruch im Deutschrap ist es ihr weniger wichtig, dass jede:r Rapper:in selbst textet oder produziert, als dass diese Künstler:innen in ihren Persönlichkeiten real sind. Dennoch ist sie stolz, darauf, dass sie das alles selbst kann und definiert sich über ihre Selbstständigkeit:

 Die Welt soll wissen, dass ich meine Texte selber schreibe und zwar jede einzelne Zeile.“

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Der Schritt, sich auf der neuen EP zu professionalisieren, ist für Lisaholic ein wichtiger. „Loopen ist lustig, aber das Maximum ist längst erreicht bei mir“, findet sie. Ihre Fans brauchen jedoch keine Sorge haben, die Loopstation wird bei Live-Auftritten natürlich trotzdem bleiben: „ich verdanke ihr meinen Erfolg“.

Durch Auslandsaufenthalte und ihre Dolmetscherinnen-Ausbildung spricht Lisa fließend Englisch, Spanisch und Französisch. Mit einer Leichtigkeit textet und rappt sie daher multilingual. Ich möchte von ihr wissen, ob sie bestimmte Themen oder Emotionen besser in der einen als der anderen Sprache behandeln kann. Englisch und Spanisch ist „purer“, sagt sie. Durch die Distanz zur Sprache, fällt es ihr leichter sich zu öffnen als in der Muttersprache.

Nach einem schönen Gespräch mit Lisaholic bin ich beeindruckt von ihrer Selbstbestimmtheit und dem Mut „einfach zu machen“. Lisa trifft Entscheidungen nach dem Lustprinzip und sagt, sie habe bisher noch keine davon bereut. „Ich hab nicht viel Kohle, aber mein Leben is‘ so reich.“ Der Weg dahin war trotzdem oft ein Kampf, wie sie selber sagt. Die Zeilen ihrer Auftaktsingle „Asche“ bleiben im Kopf:

Wer lebt mein Leben, wenn ich es nicht mache?“

Happy Release Day, Lisaholic! Ihr könnt die EP jetzt überall streamen und Lisa demnächst auf dem ein oder anderen Festival sehen, zum Beispiel auf der Nation of Godwana.

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