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Pinqy Ring

Pinqy Ring

Vom traumatisierten Kind zum zornigen Teenager, und von da zum besten Rap-Act Chicagos: Nicht unbedingt der übliche Weg für ein Mädchen aus religiös geprägtem puertoricanischen Elternhaus, aber der richtige. Zumindest für Pinqy Ring.

For me, growing up as a budding MC, no one was showing me the way, no one was giving me a platform, no one was giving me opportunity. So, they say you become what you needed when you were growing up.“

– Pinqy Ring gegenüber vocalo.org

Du wirst, was dir selbst gefehlt hat: Marisol Vélez liefert den lebenden Beweis für diese These. Unermüdlich arbeitet sie als Aktivistin daran, jungen Menschen of color und insbesondere Frauen* eine Plattform zu geben. Unter dem Titel „The Pinqy Project“ bietet sie Workshops an, bei denen es nicht nur darum geht, Songwriting- und Business-Skills zu vermitteln, sondern auch um Selbstbewusstsein, Bodypositivity, Feminismus und Mental Health. Wenn Pinqy Ring als offizielle HipHop-Botschafterin nach Kambodscha, Nepal oder Argentinien reist, sieht sie sich nicht nur als Rapperin, sondern auch als Erzieherin und Revolutionärin. Die Maxime „Each one teach one“ scheint bei ihr auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein.

Pinqy Ring repräsentiert US-amerikanischen HipHop weltweit, steht dabei aber immer auch für ihre Heimatstadt. Geboren und aufgewachsen in der stark puertoricanisch geprägten Gemeinde Humboldt Park, ist sie durch und durch ein Kind Chicagos. In jungen Jahren erlebt sie sexuellen Missbrauch, kein Wunder, dass sie infolge des erlittenen Traumas zu einem stinkwütenden Teenager heranwächst. Zum Glück für sich und alle anderen entdeckt sie schon früh HipHop. Anfangs rappt sie nur die Songs mit, irgendwann reicht das allerdings nicht mehr: Mit 15 greift sie selbst zum Mic und springt, wie sie sich später erinnert, bald in jede Cypher.

Die Eltern reagieren nicht begeistert. „Sie haben mich in meinen künstlerischen Ambitionen nie unterstützt“, erinnert sich Pinqy Ring. „Erst viel, viel später wurden sie zu meinen größten Fans.“ Dabei erfüllt die Tochter zunächst viele Erwartungen: Sie absolviert die Lane Tech College Prep High School, macht sogar einen Abschluss an der University of Illinois in Chicago. Als sie danach verkündet, trotzdem lieber Rapperin werden zu wollen, fallen die Eltern natürlich aus allen Wolken. Es hilft ihnen aber nichts: Pinqy Ring zieht ihrer Wege.

Dass die Entscheidung richtig war, weiß sie spätestens, als sie 2004 bei einem Autounfall schwer verletzt wird. Wieder aus dem Koma erwacht, empfindet sie das Erlebte als einen Wendepunkt in ihrem Leben. Sich mit Unwichtigkeiten aufhalten, war nicht mehr drin, außerdem hatte sie das dringende Bedürfnis, ihre Geschichte zu erzählen. Auch und gerade die schmerzhaften Missbrauchserlebnisse. 2013 debütiert sie mit der vielsagend betitelten EP „Herstory“, der Nachschlag „Herstory: The Lost Chapters“ folgt zwei Jahre darauf.

Über die Jahre wächst die Fangemeinde. Bald bestreitet Pinqy Ring mit ihren Lyrics auf Englisch und Spanisch nicht nur Auftritte in Chicago, sondern steht, etwa im Rahmen ihrer „The Rise Of The Phoenix„-Tour, US-weit auf Bühnen und spielt auch in Westafrika und Europa. Im Fahrwasser ihrer Shows bietet sie immer wieder auch Workshops und Panels an, hält Vorträge und betreibt Aufklärungsarbeit. Für eine 14-tägig ausgestrahlte Webshow namens „PinqyTuesday“ findet sie ab 2016 auch noch Zeit.

That’s the reason why my activism is so important, particularly around women in hip-hop, because I want to be able to provide a bridge over all of that bullshit. And when I tell you that I’ve tried to quit rap several times, I’m not lying … My platform is for more than sharing my own raps; it’s for creating an industry where women can actually function in.“

– Pinqy Ring gegenüber der Chicago Sun-Times

Ihr Traum: ein Label, betrieben von und für Frauen. Hat man so etwas schon gehört?

2013 ziert ihr Gesicht das Cover des Hype-Magazins, 2018 wird sie vom Illinos Art Council ausgezeichnet, 2023 erklärt sie der Chicago Reader zum besten HipHop-Artist des Jahres. Eine steile, reibungslose Karriere, könnte man meinen. Oder?

Nö. Wie vielen anderen Künstler:innen macht Pinqy Ring die Corona-Krise schwer zu schaffen. Auftritte und Veranstaltungen sind unmöglich, die Einnahmen brechen weg, irgendwann stapeln sich unbezahlte Rechnungen. „Normalerweise bitte ich nicht um Hilfe“, erklärt sie rückblickend. Irgendwann ist ihre finanzielle Situation aber dermaßen desaströs, dass ihr keine andere Wahl bleibt. Da sie gute Erfahrungen damit gemacht hat, die Wahrheit mit der Welt zu teilen, erzählt sie freimütig auch die Geschichte, wie sie an einen Überbrückungskredit gekommen ist – auch, um anderen in ähnlicher Lage Mut zu machen:

I would share two things: that it’s okay to ask for help, and that this is only a moment. Not a lifetime. Often when we’re in dark situations it’s hard to see past the muck and the mud. But soon you will make it from under that rain cloud, and look back on incredible lessons of grit and evidence of your resilience.“

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– Pinqy Ring gegenüber JFLChicago

Schau an, sie hat recht behalten: Zwei Jahre danach sieht die Zukunft schon gar nicht mehr so düster aus. Eher pink, wie Peter Fox sie besang. Pink wie Pinqys Haare, ihre Nägel, weite Teile ihres Outfits. Es muss doch einfach ihre Lieblingsfarbe sein … huch? „Ich habe die Farbe Pink gehasst“, erzählt sie. Sie sei in der Schule eher der Tomboy gewesen, interessierte sich nicht für die typischen Mädchen-Dinge, die sie mit Rosa assoziierte. Stattdessen spielte sie Baseball, liebte Wrestling und eben HipHop. 50 Cent und seine Crew stand hoch in ihrer Gunst, bei einer Frau aus einem seiner Videos guckte sie sich ab, sich den Schriftzug G-Unit quer über den Hosenboden zu schreiben. Dummerweise wohl ausgerechnet in Rosa, was ihre Mitschüler:innen dazu anstachelte, sie „Pinky“ zu nennen. Wie so oft: Je heftiger man sich gegen einen unerwünschten Spitznamen wehrt, desto fester bleibt er kleben. „Irgendwann kapierte ich zum Glück, dass stark und feminin sein keine Gegensätze darstellen“, so Pinqy weiter.

Okay, I know a million ‚Pinkies‘, I don’t want to be just another ‚Pinky‘, so what can I add to it to give us some some swag or some dopeness? So ‚Pinqy Ring‘ came from like mafia/mob culture, you know, you kiss the pinky ring out of respect, but also hip-hop culture, right? Because every rapper raps about their pinky ring.“

– Pinqy Ring gegenüber Vocalo.org

Tja, und dann übernahm das Pink Pinqys Garderobe, ihr Haus, ihr Leben. Manchmal muss man sich einfach ergeben. Es gibt ja auch wahrhaftig lebens-un-frohere Farben.

Für aufstrebende Kolleg:innen hält Pinqy Ring übrigens allzeit einen guten Rat bereit, allen voran diesen, den wir uns ruhig auch alle selbst zu Herzen nehmen dürfen:

My main piece of advice would be to not doubt yourself. This world is already set to bring us down, let’s not be another person in the way of our own success. Create consistently, but forgive yourself for periods of non-creation. Invest in yourself and find ways to give back. Make sure you are asking for help, but also using that knowledge to help others. Lastly – network, network, network! As the saying goes, it’s not what you know but who you know. I would venture to say it’s a combination of the two that will make you unstoppable.“

– Pinqy Ring gegenüber VoyageChicago
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