Anfang 2021 landete ein fetter grüner Rotzfladen vor den Füßen von Deutschrap, als die Berliner Rapperin Chaarlz scheinbar aus dem Nichts auf Instagram einen 1:12 Minuten langen Ausschnitt ihres Statement-Songs „Statussymbol“ droppte. Als hätte sie nie etwas anderes getan, klatschte Chaarlz den Zuhörenden gleich zu Beginn in einem beeindruckenden Flow folgende Zeilen um die Ohren:
Nein, ich spritz nicht meine Lips dick, weil es Klicks gibt. Doch sie sagen, ich mach Fickblick, wie bei Schminktipps, schicken Dick Pics. Doch es bringt nichts, fick dich!“
Wer dieses Video gesehen hat, fragte sich (nach dem Aussetzen der Hyperventilation): Was war das? Wer ist diese Rapperin? Wo kommt sie her? Warum habe ich bisher noch nichts von ihr gehört? Und was macht dieser riesige Hase im Video? Das Ganze war einfach viel zu groß, um der erste musikalische Output dieser Künstlerin sein zu können.
Es folgten Instagram Videos für das DNN-Battlerap-Format. DNN steht für „Danergy‘s Next Newcomer“. YouTuber Danergy hatte bei der inzwischen vierten Staffel dieses Formats ein Feature mit ihm und 5.000 Euro Preisgeld als Gewinn in Aussicht gestellt. Zudem sollten alle eingesendeten Videos von Danergy auf YouTube standesgemäß und unterhaltsam kommentiert werden. Als Chaarlz „vollmotiviert und restalkoholisiert“ von einem Wochenende in der (Paderborner) Heimat nach Berlin zurückkehrte, sah sie zufällig einen Post einer anderen Rapperin, die sich bereits für das Battle-Format qualifiziert hatte. Chaarlz überlegte nicht lang und schickte im Restrausch die geforderte 15-Sekunden-Story ein („Klang einfacher als es war, wenn man wirklich zeigen will, was man drauf hat.“) und begann dann erst zu recherchieren, wer Danergy überhaupt ist und dass er gut 900k Abonnent*innen bei YouTube hat.
Wer „Statussymbol“ kennt, dürfte es nicht weiter überraschend finden, dass Danergy natürlich auf Chaarlz‚ Videoeinsendung reagiert hat und sie damit als Teilnehmerin seines Turniers aufnahm. Chaarlz hatte Bedenken, ob ihr überhaupt die Mittel zur Verfügung stünden, in diesem Contest mitzuhalten. Die Qualität der Konkurrenz, was Video- und Soundproduktion angeht, war unglaublich hoch. „Zum Glück habe ich mittlerweile Menschen um mich herum, die an mich und meinen Weg glauben und dabei in voller Hinsicht unterstützt haben“, berichtet Chaarlz auf Nachfrage stolz.
Damit meint Chaarlz wohl hauptsächlich ihre Crew – Guterzogene Asis:
Die Guterzogenen Asis haben sich vor einigen Jahren in Paderborn zusammengefunden (JMS, Salvuccio, Mätt und Nais GZA). Nais GZA ist mein Freund und größter Arschtreter. Als ich Nais kennenlernte, stand das Thema, dass ich selbst Musik machen möchte, noch gar nicht im Raum. Als ich ihm irgendwann meinen ersten Part zeigte, reagierte er mehr oder weniger geschockt, was ich da „mal eben“ gemacht habe. Natürlich war ich mittlerweile auch mit seinen Jungs befreundet und nachdem er ihnen mein Werk zeigte, war es keine große Frage mehr, dass ne „Quotenfrau“ der Crew guttut. Kennst du so Kinderfilme wie „Die wilden Kerle“, die immer ein cooles Mädchen dabei haben? So fühlen wir uns manchmal.“
Solche selbstironischen oder sarkastischen Sätze begegnen einem wiederholt im Gespräch mit Chaarlz. Große feministische Statements wird es von ihr (vorerst) nicht geben, obwohl sie durchaus ein Bewusstsein für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu haben scheint. Dafür lässt sie lieber ihre Songs sprechen, die immer wieder deutlich unangenehme Wahrheiten ihrer eigenen Geschichte und ihres Schicksals reflektieren. Was den musikalischen Stil angeht, setzt sie sich selbst keine Grenzen:
Ich möchte den roten Faden meiner Musik keine bpm-Zahl oder bestimmte Musikrichtung sein lassen – ich bin der rote Faden. Manchmal bin ich traurig und es entsteht was Deepes, manchmal möchte ich feiern und an nichts denken und „Blicke hier, Blicke da“ an mir abprallen lassen.“
Bei der DNN-Challenge schaffte Chaarlz es bis ins Viertelfinale und überzeugte vor allem mit dem autobiografischen Brecher „Misstake“. Danergys Kommentar: „She’s on fire, Digga! Da kam ne Energie gerade rüber! Was war das für ne Energie? Sheesh! Geiler Mix! Geiler Sound! Das war reich gemacht.“ Den sehr persönlichen Song gibt es inzwischen auf allen Streaming-Plattformen. Sie thematisiert darin unter anderem ihren toxischen Ex und erklärt mir dazu im Interview:
Ich mache solche Texte teilweise auch um mich von meiner Vergangenheit nicht unterkriegen zu lassen. Wenn ich rechtlich nichts bewirken kann, versuche ich meine Stärke an Betroffene weiterzugeben und Mut zu machen.“
Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, als wäre „Misstake“ der Anfang von etwas ziemlich Großem. „Ich mach so viele Fehler und hoff, dass ihr mir irgendwann verzeiht“, rappt Chaarlz in dem Song. Eins steht fest: Anzufangen zu rappen, war mit Sicherheit keiner davon. Dafür ist die Rapperin einfach viel zu gut!
Ach, und dann wäre da ja noch die Sache mit dem Hasen aus „Statussymbol“. Tatsächlich ist der Rapperin Tierliebe als Statussymbol wichtiger als teure Klamotten:
Der große „richtige“ Hase ist Conrad – ganz klassisch drohte ihm damals natürlich das Schicksal, gegessen zu werden… seitdem wohnt er bei mir. Mit dem Satz möchte ist darauf hinweisen, dass ich andere Werte als „Gucci oder Prada“ vertrete – Hasen sind super sensible Fluchttiere. Eine gute Beziehung zu ihnen aufzubauen ist nicht für jeden machbar.“