La Diva, La Caballota oder La Reina: Gleich drei Titel wurden der puertoricanischen Reggaetonera Ivy Queen zuteil, und das zurecht: Sie ist weibliche Pionierin im männlich dominierten Reggaeton und behauptet sich dort seit den 1990er Jahren. Heute gilt sie als Legende des Genres und ihr Track „Quiero Bailar“ weithin als zeitlose Ansage gegen den herrschenden Machismo.
Martha Ivelisse Pesante wurde 1972 auf Puerto Rico geboren. Als Teenagerin begann ihre Leidenschaft für die sich damals neu formierende puertoricanische HipHop-Szene, weswegen sie mit 18 in die Hauptstadt San Juan zog. 1995 wurde sie als erste weibliche MC Teil des Kollektivs The Noise, das in den folgenden Jahren den Sound des im Entstehen begriffenen Reggaetons maßgeblich prägen sollte.
Ivy Queen trennte sich allerdings bereits 1996 von The Noise, auch weil sie genug von den gewaltverherrlichenden und sexistischen Lyrics und Attitüden ihrer männlichen Kollegen hatte. 1996 erschien ihr Debüt-Album „En Mi Imperio“, kurz darauf unterzeichnete sie einen Vertrag mit Sony, wo sie bereits 1998 ihre zweite LP „The Original Rude Girl“ veröffentlichte.
2003 veröffentlichte Ivy Queen ihr drittes Album „La Diva“, das Features mit vielen Rap- und Reggaeton-Größen der Zeit beinhaltet. Damit schaffte Ivy Queen es endgültig, sich als Reggeatonera zu etablieren, und auch Reggaeton gewann zur gleichen Zeit als Genre weltweit an Einfluss. Als Höhepunkt dieser Ära zählen heute die Veröffentlichung von Daddy Yankees „Gasolina“ und sein Album „Barrio Fino“ im Jahr 2004. Doch auch „La Diva“ wird immer wieder im selben Atemzug als eines der besten Reggaeton-Alben der Anfangsjahre des Genres genannt.
Auch wenn Ivy Queen den Titel der „Reina del Reggaeton“ (Königin des Reggaeton) vollends verdient, war sie nicht die erste und ist auch nicht die einzige nicht-männliche MC in Puerto Rico ihrer Zeit. Die panamaische La Atrevida war bereits Anfang der 1990er Jahre eine einflussreiche MC des Vorgängergenres Reggae en Espanol. Ebenso gab es in Puerto Rico zeitgleich zu Ivy Queen Reggaetoneras wie Jenny La Sexy Voz oder Glory. Viele weibliche MCS kollaborierten mit bekannten männlichen Reggaeton-Artists der Zeit und erhielten fast nie Credits für ihre Backing-Vocals, die elementarer Teil des klassischen Reggaeton-Sounds sind. In der männlich dominierten Szene wurde es Frauen schwer gemacht, sich zu behaupten. Ivy Queen schaffte dennoch den kommerziellen Durchbruch und etablierte sich in der Szene.
„La Diva“ wurde bis 2005 gleich von zwei Major-Labels nochmals veröffentlicht. Der wichtigste Track des Albums und der legendärste Song der Reina del Reggaeton avancierte außerdem zum zeitlosen politischen und emanzipativen Statement. Die Aussage von „Quiero Bailar“ lässt sich mit den Lyrics des Chorus zusammenfassen: „Nur weil ich sexy mit dir tanze, bedeutet das noch lange nicht, dass ich mit dir ins Bett gehe.“ Damit räumte Ivy Queen mit der damals gängigen sexistischen Annahme auf, die Bestandteil vieler Reggaeton-Lyrics war: Im Club erotisch „Perreo“ (der Twerk des Reggaeton) zu tanzen, biete einen Freifahrtschein dafür, die Tanzpartnerin abzuschleppen.
Der Track und sein Statement stehen damals wie heute für die Selbstbestimmung weiblicher Körper im Reggaeton. 2019 veröffentlichte Ivy Queen den Song erneut, dieses Mal von einem all-female Studio-Team aufgenommen und produziert.
Nach „La Diva“ veröffentlichte Ivy Queen sieben weitere Alben, davon das bisher letzte 2019. Auf allen ist sie und ihrem Sound immer treu geblieben und schafft es wie keine zweite, ihre dunkle Stimme und ihren harten Flow mit einem hyperfemininen Auftritt zusammenzubringen. Die Queen ist auch weiterhin stets gefragt und kollaboriert mit allen großen alten und neuen Artists des Genres. Darunter fällt auch der derzeit erfolgreichste Reggaeton-Künstler Bad Bunny, der laut Selbstaussage großer Ivy Queen-Fan ist und sie zu einem Remix seines Songs „Yo perreo sola“ einlud.
Ivy Queen ist neben ihrer Musik noch vieles mehr: Producerin, Komponistin und Schauspielerin und bis vor kurzem auch Podcast-Host. Im englischsprachigen Spotify-Podcast „Loud“ geht sie der Geschichte des Reggaeton. Dabei lässt sich das Format gar nicht erst auf den alten Streit ein, wo in Lateinamerika nun Reggaeton entstanden sei, sondern spürt der komplexen Geschichte seiner Entstehung nach: zwischen Migrationsbewegungen und Diaspora, zwischen Jamaika, dem Panama-Kanal, New York und letztendlich Puerto Rico, als Mischung verschiedener afro-karibischer Stile. In all seinen Phasen ist das heute populäre Genre zuallererst Ausdruck junger Schwarzer und Latinx-Personen gewesen, und wer, wenn nicht die Königin selbst, sollte uns diese facettenreiche Geschichte erzählen?