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MC Tia

MC Tia

Manchmal entpuppen sich Plattenläden als reinste Goldgruben, mit denen selbst perfekt auf deinen Musikgeschmack abgestimmte Streaming-Algorithmen nicht mithalten können. Ohne Plattenläden hätte der Autor dieser Zeilen vermutlich nie die Königin des skandinavischen (Oldschool) Raps entdeckt.

Ende des vergangenen Jahres durchstöberte ich die HipHop-Fächer des Malmöer Plattenladens Rundgång nach verborgenen Schätzen, als mir ein gelblich-leuchtendes Cover ins Auge stach. Darauf zu sehen: Eine gleichzeitig verführerisch wie entschlossen wirkende, japanisch-anmutende Kriegerin. Die rechte Hand greift nach einem Kampfschwert. Sollte dieses nicht ausreichen, könnte vermutlich selbst der Blick töten. Der Titel: „The Last Bushida“. Die Künstlerin: MC Tia.

Alle sechs EP-Tracks stammen aus der Feder der dänischen Rapperin, von der ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gehört hatte. Bereits die Tracklist verrät, wo die Reise auf „The Last Bushida“ hingeht: Track Nummer 2 heißt „For the love of Hip Hop“, Track Nummer 4 „Raposopher“. Produziert haben die Platte Lp2 und DJ Bobbyboband, sowie das französische Produktions-Team Soul Square und der Berliner Produzent 7inch. Als Feature-Gäste haben der Rap-Veteran Raashan Ahmad (Crown City Rockers), der Franzose Dernier Pro und der dänische Soul-Sänger Jonas Rendbo die Ehre, auf dieser fantastischen EP mitzuwirken.

In der ausführlichen Dankesrede auf der Rückseite der Platte (was für ein wunderschöner Anachronismus) heißt es: „Peace to my African fam, my Middle East fam, my France, Sweden and Denmark fam, I am greatful to be part of a a Global HipHop Movement.“ Die Platte atmet die Kultur aus jeder einzelnen Rille. MC Tia flowt in englischer Sprache akzentfrei, federleicht und wortgewandt philosophisch zwischen Beats, Cuts und (Soul- und Jazz-) Sample-basiertem BoomBap, sodass jedem echten Oldschool-Rap-Head das Herz anschwillen sollte und sich doppelt und dreifach die Frage stellt: Wo zum Teufel sind die Denkmäler, die diese Rapperin verdient hat? MC Tia scheint HipHop und dessen umarmenden und inklusiven Community-Gedanken zu leben – bzw. gelebt zu haben. Eine Jahreszahl befindet sich nicht auf der Platte. Die vermerkte Website „www.mctia.com“ ist nicht mehr online, im Gegensatz zu einer Soundcloud-Seite, der sich ein paar nützliche Informationen entlocken lassen.

Die japanisch-anmutende Kriegerin, die sich in der großen weiten Hip-Hop-Welt niedergelassen hat, wohnt (oder wohnte) anscheinend in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Im Jahr 1999 verfiel sie der Hip-Hop-Kultur und veröffentlichte ihre Debüt-12-Inch im Alter von 17 Jahren, produziert von DJ Noize. „25 featured releases“ weltweit und Auftritte in Dänemark, Schweden, Frankreich, Deutschland, Spanien, dem Libanon und der Türkei sollten folgen. MC Tia ist eine dänische Rapperin, Veranstalterin, Hip-Hop-Aktivistin, Writerin und Workshop-Lehrerin (gewesen).

Im kurzen Beschreibungstext ist die Rede davon, dass MC Tia gerade ihre vierte Platte veröffentlicht hätte und in der „Kunst des Musik-Reisens“ graduieren würde (was auch immer das bedeutet). Diese vierte Platte muss „The Last Bushida“ gewesen sein, laut Discogs im Jahr 2011 als bisher letztes musikalisches MC-Tia-Lebenszeichen erschienen.

Zu MC Tias Realkeeper-Ethos passt wohl auch, dass sie sich trotz vorhandener Angebote (Major Label Universal und BMG sollen wohl angeklopft haben) nie verkauft hat. Diese sympathische Charaktereigenschaft bringt leider den unangenehmen Nebeneffekt mit sich, dass Musikfans gründlich suchen müssen, um die Veröffentlichungen dieser unfassbar begabten Rapperin zu entdecken. Seitdem mir das gelang, wünsche ich mir sehnlich, dass MC Tia die Kunst des Musik-Reisens ins Jahr 2022 führt. Die Welt könnte die prophetisch vorgetragenen Reime über Love, Peace und Unity der Dänin gerade ganz gut gebrauchen.

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