Mauretanien zählt zu den ärmsten Ländern der Erde. Das nordwestafrikanische Land besteht größtenteils aus Wüste. Die Hauptstadt Nouakchott dagegen wächst rasant und kämpft entsprechend mit allen Problemen einer zu schnell wuchernden Großstadt. Armut, Ungleichheit und Rassismus beuteln das Land, zwischen den verschiedenen Ethnien, die hier aufeinandertreffen, klaffen teils riesige kulturelle Gräben. Zu Korruption und Polizeigewalt kommt Sklaverei als noch immer existentes Problem. Zwar ist die Leibeigenschaft in der Islamischen Republik längst nicht mehr legal, bloß hilft das den Betroffenen in einer Gesellschaft, die an einer Art Kastensystem festhält, meist herzlich wenig. Kein gutes Pflaster für Rap, möchte man meinen – oder das allerbeste.
Rap in Mauretanien fußt natürlich – wie Rap weltweit – auf US-amerikanischem HipHop der 80er und 90er Jahre. Dazu kommen der Einfluss der starken senegalesischen Szene sowie lokale Strömungen. So ist insbesondere westafrikanischer HipHop geprägt von der uralten Tradition der Griots, wandernden Geschichtenerzählern. Politisch wird das Genre fast zwangsläufig: Rap gilt in Mauretanien als Sprache des Protests, aber auch als eine Möglichkeit, unterschiedliche ethnische Gruppen unter einem gemeinsamen Banner zu einen. Die Akteur:innen der einheimischen Rapszene – Rap RIM genannt – verstehen Rap als den Sound der Freiheit. Das sieht auch N’dat Bou Waner so: „Nur, wenn ich alleine auf der Bühne oder im Studio stehe, kann ich wirklich sagen, was immer ich will“, erklärt sie gegenüber The Globe And Mail. „Dort gibt es keine Grenzen.“
Tatsächlich gibt es eine Menge Beschränkungen. Da Rapper und die wenigen Rapperinnen als aufmüpfig und anti wahrgenommen werden, sieht es mit Airplay bei Radio- und Fernsehstationen mau aus. Künstler:innen in Mauretanien haben kaum Infrastruktur, unabhängige Labels gibt es nicht. Es gilt also, von der Produktion über Promo und Vertrieb bis hin zu Auftrittsmöglichkeiten alles selbst zu machen und zu organisieren. „Für Jungs ist das schon schwierig“, so N’dat Bou Waner im Gespräch mit RMI Info. „Die Mädchen aber haben es noch viel, viel, viel, viel schwerer.“ Bei ihnen greifen außerdem kulturelle und religiöse Tabus. Eine anständige Frau hat sich gefälligst nicht auf eine Bühne zu stellen.
Dennoch ist aus Fatimetou Sy eine Künstlerin geworden, die unverblümt und furchtlos sagt, was sie denkt und was sie will. Sie hat aber auch das Glück, ihren Vater auf ihrer Seite zu haben. „Ich hatte seine Erlaubnis, als ich anfing zu rappen“, erinnert sie sich im Interview mit der Global Post. Die Mutter und die Tanten sehen ihre Karriereentscheidung dagegen kritisch. „Besonders meine Mutter hat sich Sorgen gemacht, dass mich das von meinem Studium ablenken könnte. Langsam akzeptieren sie aber, was ich tue.“
Geboren wurde Fatimetou Sy in Rosso an der Grenze zum Senegal. Der Vater gehört den White Moor an, der arabisch-berberischen Volksgruppe, die in Mauretanien den Ton angibt, ihre Mutter entstammt dem ehemals nomadisch lebenden Hirtenvolk der Fulani. Musik hat die Tochter schon früh begeistert. Mit ihrem Plan, Künstlerin, insbesondere Rapperin zu werden, stieß sie allerdings auf Widerstand. „In Mauretanien wird von Frauen erwartet, dass sie immer schön still sind. Rap ist nichts für Mädchen, weil für sie nicht vorgesehen ist, aggressiv zu sein. Eine junge Frau, die rappt, können sie sich in Mauretanien einfach schwer vorstellen. Vielleicht sind meine Lyrics deswegen ein bisschen machohaft.“ Das spiegelt sich auch in ihrem unbescheidenen Künstlerinnennamen: „N’dat ist eine Verkleinerungsform des Vornamens Ndaté“, erklärt sie RMI-Info. „Bouwaner bezeichnet jemand außergewöhnlichen, besonderen, eine, die sagt, was sie will.“ Nicht ohne Grund beschreiben Medien N’dat Bou Waner häufig als francophones Pendant zu Nicki Minaj.
Wie sehr sie irritiert und mit den gängigen Hör- und Sehgewohnheiten ihres Heimatlamdes bricht, zeigt sich bei einem Fernsehauftritt, bei dem N’dat Bou Waner ein westafrikanisches Gewand trägt – ohne Hijab. Unerhört für eine Muslima in Mauretanien. Statt sich mit ihrer Musik zu befassen, mokiert sich die Gastgeberin der Show ausschließlich über die in ihren Augen unangemessene Kleidung: „Sie fragte mich, warum ich keinen Schleier trage. Ich antwortete ihr, ich sei keine White Moor, ich sei Afrikanerin. Nach dieser Erfahrung habe ich einen Song über Rassismus geschrieben.“ Im Sommer 2016 hat N’dat Bou Waner sich nach drei Jahren im Geschäft einen Namen gemacht, erfolgreich mehrere Videos veröffentlicht (darunter „Génération Swagg“ und „Happy“) und steckt mitten in den Arbeiten zu einem Album.
Im Rap findet N’dat Bou Waner Freiheit und Macht: „Rap gab mir die Chance, mich auszudrücken. Wenn du etwas zu sagen hast, und du sagst es mit Rap, werden dir die ganzen jungen Leute zuhören.“ Mit ihren Songs eine Botschaft zu transportieren, ist ihr deshalb immer wichtig. Außerdem weiß sie um ihre Vorbildfunktion: „Ich möchte allen afrikanischen Frauen, die rappen wollen, Mut machen.“ In ihrer Musik begegnen sich Rap, R&B und traditionelle Klänge. Fühlt sie sich als Rapperin? Als Sängerin? „Meine Musik kennt keine Grenzen. Ich bin Künstlerin, mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Aber ernsthaft: Wenn DAS keine Rapperin ist, wer dann?