Um eine Künstlerin wie Lia Şahin vorstellen zu können, benötigt es mehr als nur eine Berufsbezeichnung: Beatboxerin, Rapperin, Produzentin – oder wie sie es gerne selbst auf den Punkt bringt: HipHopperin. Mistress of the Ceremony. Auf die Frage, wer Lia Şahin ist, antwortet sie mit der gleichen Ansage, mit der sie auch ihre Bühne stürmt: „Die übliche beatboxende rothaarige deutsche Transgender-Frau mit türkischem Migrationshintergrund.“ Die Fragezeichen in den Gesichtern ihrer Crowd verschwinden und wandeln sich im gleichen Moment in ein großes Staunen, wenn Lia mit Superlunge und stark trainiertem Bizeps an Mund und Stimmbändern loslegt.
Lia Şahin ist in Heidelberg geboren und in Wiesloch aufgewachsen. Das Dorfleben war tough, die Schule kaum auszuhalten. Zwischen Identitätssuche, Diskriminierungen und depressiven Phasen fand sie mit 15 Jahren schließlich in der Musik ein Ventil, um ihre Gefühle greifen und ausdrücken zu können. Aus diesem Antrieb entwickelte sich schnell eine Leidenschaft für’s Beatboxen: Alles Technische brachte sich die MC in kürzester Zeit selbst bei und feilt seit mittlerweile 15 Jahren daran.
Nachdem sie mit 19 Jahren bei dem türkischen Supertalent bis ins Halbfinale vordringen konnte, fühlte sie sich so empowert und in ihrem Talent bestätigt, dass sich Lia ein klares Ziel setzte: Mit 25 von der Mucke leben können. Mit 22 war es soweit. In dieser Zeit zog sie zurück nach Heidelberg. Einmal die dortige HipHop-Szene ausgecheckt, fehlte ihr bald neuer Input. Nach einem Zwischenstopp in Berlin, landetet sie schließlich in Hamburg, wo sie heute lebt und ein Zuhause gefunden hat.
Als Freiberuflerin gibt es für Lia Şahin in der Arbeit keinen Alltag. Sie springt vom Gig in den nächsten ICE zum nächsten Workshop, von der Großstadt ins nächste Dorf. Dabei arbeitet sie meistens mit ihrem Stimmapparat, einer Loop-Station und allerlei Equipment, um eine wahnsinnige, humorvolle und überqualitative Show abzuliefern. Bei ihren Workshops steht sie Kindern wie Manager*innen gegenüber und kitzelt aus dem verklemmtesten Mitarbeiter*innen noch ein paar Lippenbeats raus.
Lia Şahins Stimmapparat ist eine ganze Band und Soundstudio zugleich. Trotzdem hat sie sich vor drei Jahren dem Produzieren gewidmet und rappt mittlerweile auch. Nun kann sie all diese Skills miteinander kombinieren und einen ganz eigenen Sound erschaffen. Dabei fusioniert sie ihre eigene Stimme mit elektronischen Klängen und selbstgebauten Drum-Kits. Die Beatbox dient dabei oft als Loop, welche durchs Produzieren mit verschiedenen Sound-Elementen erweitert wird. Über diese Beats rappt sie schließlich ihre Texte. Bei Lia Şahin bedeutet der Ausdruck „Multitalent“ ein ganzes Universum. Ihre Debüt-EP „Hallo HipHop“ erscheint in ein paar Monaten und gibt einen kleinen Einblick in diesen fantastischen Kosmos.
Alles was sie im Studio produziert, ist Futter für Live-Auftritte: „Ich stehe auf Bühnen, das ist Teil meines Atmens.“ Shows werden immer im Mittelpunkt ihrer künstlerischen Arbeit stehen. Nachdem sie alle Sterne gegriffen und eingesackt hat, steckt sie sich für Zukunft und Gegenwart neue Ziele: Außerhalb der Musik bedeutet das vor allem, ihr Leben als Frau zu genießen.