Rap aus dem Nahen Osten und vor allem aus muslimisch geprägten Ländern wird innerhalb der westlichen Berichterstattung nur allzu gern als lebensgefährliche Angelegenheit dargestellt. Rapper:innen werden automatisch als Freiheitskämpfer:innen stilisiert, die sich mit Hilfe der Musik gegen autokratische Regime mit mittelalterlichen Vorstellungen in Sachen Kultur, Gleichberechtigung und Sexualität zur Wehr setzen. Durch das selbstverständliche Herausstellen der vermeidlichen Fortschrittlichkeit der westlichen Welt gegenüber Ländern wie dem Iran kann dann ganz schnell und einfach der in der westlichen Gesellschaft noch immer vorhandene Sexismus unter den Teppich gekehrt werden.
Genau deswegen definiert sich Salome MC nur ungern darüber, als erste Frau aus dem Iran ein Rap-Album aufgenommen zu haben. „Es gibt viele iranische Künstlerinnen außerhalb des Irans, die das Image der unterdrückten Frau nutzen, um berühmt zu werden. Sie spielen mit den Wünschen der westlichen Medien,“ konstatiert Salome MC in einem Interview mit dem Guardian. Diese übertriebenen Geschichten über Unterdrückung und Repressionen würden dem Westen nur noch mehr Ausreden geben, Länder wie den Iran zu besetzen und zu kontrollieren, sagt sie.
Und dennoch sollte die Arbeit von Salome MC, die bereits in den 90er-Jahren mit Graffiti begann, nicht als unpolitisch abgestempelt werden – im Gegenteil. Mittlerweile hat sich Salome von einer Rapperin zu einer Multi-Media-Künstlerin weiterentwickelt. In Videos und Dokumentationen klärt sie über das militärische Aufrüsten und den Klimawandel auf und setzt sich für feministische Belange ein. Nebenbei schreibt sie sehr persönliche Essays über ähnliche Themen, aber auch die iranische Rap-Szene. Vor allem ihr 2019 erschienener Text „Anxiety, Alienation, and Control“ kann als eines der Highlights ihres Schaffens gesehen werden. Sehr detailreich und emotional schildert sie dort in einfühlsamer Sprache die Geburt ihres Sohnes, die ersten Monate mit ihm an ihrer Seite und auch eine einsetzende Wochenbettdepression. Sie schreibt, um Stigmata abzubauen.
Rap ist für die in Japan lebende Künstlerin mittlerweile fast zur Nebensache geworden, und dennoch veröffentlicht sie auch fast 20 Jahre nach ihren ersten Gehversuchen am Mikrofon noch regelmäßig neue Singles. Ihr erstes Album erschien 2006 als Kooperation mit dem deutsch-iranischen Rapper Shirali. „Von Mainz nach Teheran“ heißt es da auf einem der ersten Songs. Nach einem Mixtape aus dem Jahr 2009 folgte 2013 ihr Solo-Debüt „I Officially Exist“. Musikalisch war es vor allem Salomes Ziel sämtliche Schritte der Produktion eines Albums zu erlernen. So brachte sie sich schrittweise das Produzieren und auch das Drehen von Videos bei. Während auf ihrem ersten Album lediglich eine Handvoll Beats aus ihrer Feder stammten, macht sie bei ihrem aktuellen Album „Excerpts From Unhappy Consciousness“ wirklich alles selbst.
Inhaltlich setzt sie sich natürlich viel mit dem politischen Geschehen auseinander, dennoch wehrt sich Salome dagegen, als rein politische Rapperin wahrgenommen zu werden. Die Auseinandersetzung mit Themen wie Feminismus und Ungerechtigkeit seien einfach ein Teil ihrer sehr reflektierten Persönlichkeit und ihr nicht, wie gern dargestellt, von den Umständen im Iran aufgezwungen. „Ich habe mehr unter der Liebe als unter Politik gelitten“, fasst es die Künstlerin selbst zusammen.