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Jahresrückblick Part 2

Jahresrückblick Part 2

Heute findet ihr – so hoffen wir – nicht nur eine kleine Überraschung in euren frisch geputzten Sneakern, sondern auch das eine oder andere womöglich übersehene Lieblingsrelease 2020. Unser Jahresrückblick jedenfalls geht hiermit in die zweite Runde.

Unser Team hat sich sichtlich schwer getan, aus der Vielzahl großartiger Releases unsere Lieblingsalben, -EPs und -Mixtapes zu küren. In Teil 1 unseres Jahresrückblicks konntet ihr bereits fünf phantastische Veröffentlichungen aus 2020 (neu) entdecken. Heute geht es weiter.

Unsere Lieblingsreleases 2020 findet ihr auch in unserer neuen 365 Female MCs – Best of 2020 Spotify Playlist, die am Ende des Beitrags verlinkt ist.

Alyssa – Neu

Alyssas Debüt 2020 beeindruckt. Die EP regt zur Selbstreflektion an, denn „Neu“ ist ein sehr dehnbarer Begriff, den jeder für sich selbst interpretiert. Ihre Musik ist vielfältig, lyrisch, poetisch, persönlich und wild. Ihre Songs sind konzipiert wie Tagebucheinträge. „Sag Mir“ ist sehr intim, zeigt, wieviel selbsttherapeutischer Anteil darin steckt, und kann als Produkt einer Verarbeitung betrachtet werden. Mit „Neu“ konserviert Alyssa das Gefühl des frisch Verliebtseins. „Hype“, „Zone“ und „A.k.a.b.“ sind für sie Ausdruck von persönlichen und nachhaltigen Bewusstseinszuständen. In lässiger Homegirl-Attitüde inszeniert sich die Künstlerin als facettenreiches Gesamtkunstwerk. Eine emotionale EP und eine 365female*MC zum Verlieben! (Partisana Parmigiana)

CHIKA – Industry Games

Als ich vor gut zwei Jahren anfing, für diese Blogreihe Namen von Rapperinnen zu sammeln, landete recht schnell eine gewisse oranicuhh, die euch heute sicher besser als CHIKA bekannt ist, in der Liste. Damals gab es nur ein paar unprofessionelle Parts der MC aus Montgomery auf YouTube, die jedoch beachtliche Skills vermuten ließen. Als CHIKA im September 2019 dann endlich ihr verdientes Portrait auf 365 Female MCs erhielt, war der Hype bereits am anrollen. 2020 ist mit „Industry Games“ nun die erste EP der Rapperin erschienen – und hat sich prompt einen Platz in der Hall of Fame der Releases des Jahres gesichert. Auf nur sieben Tracks setzt CHIKA Maßstäbe. Vor allem, weil diese Frau eine der besten MCs unserer Zeit ist: technisch astrein, lyrisch streckenweise auf Pulitzerpreis-Niveau. CHIKA erzählt Liebesgeschichten und macht politische Statements, verpackt dazwischen ihre Selbstzweifel in emotional absolut mitnehmende Zeilen und übt Kritik an der ganzen Musikindustrie. Das Highlight des Releases ist zweifelsohne der Song „Balencies“ mit teils reduziertem, teils gospeleskem Instrumental und Zeilen wie „And mental health days make you guilty, ‘cause you waste time / I’m fighting everybody’s demons, but can’t face mine / Baseline, use all that pain and anger and just make rhymes / How I’m uplifting your whole life but still I hate mine?”. Die thematische und musikalische Vielseitigkeit von “Industry Games” ist schier überwältigend und toppt so manche komplette Diskografie. “Call it intuition, but I’m about to change the world, it’s been my only mission”, rappt CHIKA im Intro ihres Major-Debüts über ein Klavier-Instrumental. Ich für meinen Teil halte das für eine self-fulfilling prophecy. CHIKA ist definitiv ein Grund, sich auf das frisch gestartete Jahrzehnt zu freuen. (Lina Burghausen)

Tkay Maidza – Last Year Was Weird Vol.2

Das Potential für etwas wahrlich großartiges offenbarte Tkay Maidza schon vor vier Jahren auf ihrem Debüt. Nur schwamm die damals 19-jährige zu der Zeit noch sehr im Fahrwasser des Iggy Azalea-Hypes, der weltweit neue Standards für australischen HipHop setzte, ihn aber gleichzeitig in ein maßgeschneidertes Pop-Korsett zwängte, das der Newcomerin nicht wirklich gut zu Gesicht stand. 2020 hat sie diese kreative Zwangsjacke abgelegt und reißt, mit sichtlich Spaß an der Sache, sämtliche Genre-Grenzen ein. Mit der zweiten Auflage ihrer “Last Year Was Weird”-EP-Reihe schöpft Tkay endlich aus den Vollen und entfaltet ihr kreatives Potential. Egal ob basslastige Banger für den nächsten Moshpit (“Grasshopper”), verspielte Pop-Jams (“You Sad”), oder stilsicheren Missy Elliott-Worship (“Shook”): Die Australierin erweist sich nicht nur als äußert versatil am Mic, auch hinsichtlich der Produktion zieht sie alle Register. Während einem auf dem JPEGMAFIA-assistierten “Awake” die Synths wie Hummeln um die Ohren sausen, liefert die laid-back Instrumentierung von “24k” sommerlich-verträumte Kaytranada-Vibes. Auch wenn Maidza inhaltlich das Rad nicht neu erfindet, so kommt die Art, wie sie wie ihre Texte über Selbstbestimmung und verflossene Liebschaften vorträgt, der Perfektion ziemlich nahe. “Last Year Was Weird Vol.2” ist gerade mal zwanzig Minuten lang, allerdings so prall gefüllt mit Ideen, dass es dem flüchtigen Charakter einer EP in keinster Weise gerecht wird. Vielmehr stellt das Mini-Album die Weichen für eine der aufregendsten Karrieren der kommenden Jahre. Wenn Tkay Maidzas musikalische Aufarbeitung eines “weirden” Jahres schon im Bezug auf 2019 so aufregend klingt, mag man sich gar nicht ausmalen, was nächstes Jahr auf uns wartet. (Mirko Leier)

badmómzjay – 18

Als badmómzjay, die 18-jährige Newcomerin mit den roten Haaren, „Zirkus“ veröffentlichte, war ich geflasht von ihrem Sound, ihren Skills. Kaum zu glauben, dass sie noch 17 war. Danach catchte mich jede weitere der Singles, die sie releaste, und natürlich auch mit ihren vorab veröffentlichten Rap-Parts, mit denen sie sich zu ihrem Universal Vertrag gerappt hatte. Daher war ich unfassbar gespannt auf ihre EP. Was konnte da noch kommen?

Auf ihrer ersten EP „18“, die Ende September erschien, gab es sechs neue hochkarätige Tracks zu hören. Badmómzjays Flow ist gewaltig, ihr Sound ist eingängig und sie strahlt eine unfassbare Energie aus. Mit ihren Texten macht sie klare Ansagen wie „Fick die German Charts, Bitch, I want a Grammy“, die zeigen, dass sie hoch hinaus möchte. Das Potenzial dafür hat sie auf jeden Fall, denn ihre Skills und Beats auf „18“, die sich häufig am US-amerikanischen Rap orientieren, sind stark. Ihre Art, die Verse zu spitten, reißt mich einfach mit und obwohl die Newcomerin zwar Rap auf Deutsch macht, ist es kein Deutschrap, was ihre Musik so stabil macht. Besonders ist „18“ auch, weil badmómzjay Vielseitigkeit beweist: der Song „Supernova“ zeichnet sich durch Gesang statt Rap aus und thematisiert sehr emotional die fehlende Beziehung zu ihrem Vater.

See Also

Insgesamt ist badmómzjays Debüt-EP einfach nur krass und weckt (bei mir) große Hoffnungen – auf weitere Releases von der Newcomerin, aber auch auf die Zukunft des (female) HipHops. (Carlotta Schlomann)

070 Shake – Modus Vivendi

Wahrlich ist „Modus Vivendi“ kein klassisches Rap-Album. Auch wenn – oder vielleicht gerade weil – 070 Shake zweifellos eine absolut begnadete Rapperin ist, steht Rap auf ihrem Debüt nicht im Fokus. Vielmehr schwimmt die GOOD-Music-Hoffnung auf einer Welle, die Kanye West mit seinem „808s & Heartbreak“-Album einst lostrat. In dieser kleinen eigenen Genre-Ecke versammeln sich inzwischen Crooner:innen wie Kid Cudi oder Teyana Taylor, um über ihre Gefühle zu sprechen. Und genau das schafft 070 Shake mit „Modus Vivendi“ einfach unfassbar gut. Durch ihre Autotune-getränkte Stimme schwappt eine riesige Portion Schmerz, manchmal noch mit etwas Wut und Melancholie versehen, direkt ins Ohr. Shake arbeitet sich eine Dreiviertelstunde lang am Beziehungschaos einer Generation zwischen Internet-Nähe, drogeninduzierter Glückseligkeit und Real-Life-Einsamkeit ab. Orchestriert wurde die Platte dabei von keinem Geringeren als Mike Dean, dem Universalgenie hinter eben jenem Kanye West-Sound. Für Shake mixt er dabei reichlich 80s-Elemente in seinen Signature-Sound und schneidert ihr quasi im Vorbeigehen Hits auf den Leib. Einer davon, der es leider und völlig zu unrecht nicht zu den absoluten Hits des Jahres geschafft hat, ist der großartige Song „Guilty Conscience“. Auf einem Bett aus den legendären Sounds des Juno106Synthesizer (ja, das Gerät vom Stranger Things-Soundtrack) singt die Rapperin aus New Orleans eine herzzerreißende Ohrwurm-Hook über den Moment des Aufdeckens einer heimlichen Affäre ihrer Partnerin. Als weitere Highlights tuen sich „Microdosing“, der in genialer Weise die Drogenaffinität unserer Generation mit der chronischen Abneigung von jeglichen Bindungen zusammenbringt, und „Under the Moon“ auf. Im Endeffekt ist „Modus Vivendi“ eine Platte, die es schafft, innerhalb ihres wunderbaren Sound-Kunstwerks eine Message samt cleverer Analyse des aktuellen Zeitgeist in Sachen Liebe zu platzieren, ohne dass man diese Ebene je bemerken muss, um das von simplen Emotionen getriebene Album abgöttisch zu verehren. (Niklas Wilhelm)

Teil 3 unseres 365 Female MCs Jahresrückblicks lest ihr nächste Woche Sonntag, am dritten Advent. Bis dahin empfehlen wir euch, die „365 Female MCs – Best of 2020“-Playlist on repeat zu hören:

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